Moderne Pferdezucht: Embryotransfer beim Pferd
Die moderne Pferdezucht setzt bei hochwertigen Sportstuten auf Embryotransfer, um den Zuchtwert dieser Stuten zu steigern. Damit rückt in der Pferdezucht die mütterliche Genetik weiter in den Fokus.
Inhaltsverzeichnis
Spitzenstute Weihegold von Isabell Werth kann bereits auf mehr als ein Dutzend Fohlen als ihre Nachkommen schauen – ohne eines davon selbst ausgetragen zu haben. Embryotransfer macht es möglich. Der modernen Reproduktionstechnik stehen viele deutsche Pferdezüchter nach wie vor skeptisch gegenüber, wobei es sich um eine gar nicht mehr so junge Zuchtmethode handelt.
Moderne Pferdezucht: Was ist Embryotransfer eigentlich?
Beim Embryotransfer handelt es sich um eine in der Reproduktionsmedizin etablierte Technik, bei der es zur Übertragung eines Embryos von der Mutterstute zur Leihstute kommt. Der wenige Tage alte Embryo wird dabei mit einer Spüllösung aus der Gebärmutter der Spenderstute (Mutterstute) herausgespült und nach seiner Reinigung in die Empfängerstute (Leihstute) eingesetzt. Anschließend trägt die Empfängerstute das nicht mit ihr verwandte Fohlen aus und übernimmt ebenso die Aufzucht des Fohlens.
Die Spenderstute kann dabei vom Hengst per Natursprung oder über eine künstliche Besamung mit Frisch- oder Tiefgefriersperma belegt werden. Am häufigsten wird der Embryotransfer bei Hochleistungsstuten im Spitzensport durchgeführt. Aus ihnen können mehrere Nachkommen gleichzeitig gezogen werde, ohne dass die Stuten aus dem Sport genommen werden müssen.
Embryotransfer klingt wie eine sehr moderne Vorgehensweise in der Pferdezucht. Dabei hat der britische Zoologe Walter Heape bereits 1890 das erste Mal einen Embryotransfer durchgeführt. Übertrug Heape damals Embryonen von Hasen, kam das erste ET-Fohlen 1974 auf die Welt. Kommerziell genutzt wurde der Embryotransfer in der Pferdezucht indes erst in den 90er Jahren von Polo-Pferde Züchtern in Südamerika. 2003 hielt der ET dann auch in Deutschland Einzug. Allerdings ist die deutsche Pferdewelt nach wie vor zurückhaltend, was den Embryotransfer anbelangt. Seine Hochburg hat der ET vor allem im Norden Deutschlands.
Die Gründe, sich für diese Zuchtmethode zu entscheiden, sind sehr unterschiedlich. So auch die Meinungen, die dem Embryotransfer kritisch oder wohlwollend gegenüberstehen. Im Video klären wir die Frage ob der Embryotransfer die Zukunft in der Pferdezucht sein könnte:
Gründe und Nutzen von Embryotransfer beim Pferd
Da es sich beim Embryotransfer um eine verhältnismäßig aufwendige und kostenintensive Zuchtmethode handelt, setzt man sie hauptsächlich bei Stuten mit hohem Zuchtwert ein. Das Verhältnis des Zuchtergebnisses muss in Relation zum Aufwand des Embryotransfers stehen. In den meisten Fällen handelt es sich hierbei um Spitzensportstuten, von denen man mehrere Fohlen ziehen möchte.
Weiterhin erlaubt der Embryotransfer bei Stuten:
- Die Stute nur wenige Tage aus dem Training bzw. Turniereinsatz zu nehmen
- Ein Fohlen aus Stuten zu ziehen, die in der Vergangenheit nicht aufgenommen haben oder abortieren
- Ein Fohlen aus Stuten zu ziehen, die aufgrund ihres Alters nicht mehr in der Lage sind, ein Fohlen selbst auszutragen
- Stuten schon vor Beginn der Sportkarriere als Zuchtstuten zu nutzen
- Gefährdete Pferderassen durch Einfrieren der gespülten Embryonen zu erhalten oder Forschung zu betreiben
Spenderstute und Empfängerstute: Welche Voraussetzungen gibt es für einen Embryotransfer?
Der Embryotransfer bedarf einiger Vorbereitungen, die im Vergleich zu Natursprung und künstlicher Besamung sehr aufwendig sein können. Immerhin sind hier mindestens zwei, idealerweise sogar mehrere Stuten beteiligt.
Sowohl Spender- als auch Empfängerstute müssen zuvor eine Zuchttauglichkeitsuntersuchung mit Tupferprobe über sich ergehen lassen. Hierbei wird auf infektiöse Anämie hin untersucht und per Uterusbiopsie die Qualität der Uterusschleimhaut und die Abfohlwahrscheinlichkeit bestimmt.
Beide Stuten kommen für den Zeitraum der Rosse, Belegung und des Embryotransfers in dieselbe Klinik. Der Sexualzyklus beider Stuten muss synchronisiert werden, damit die Embryoübertragung erfolgreich durchgeführt werden kann. Dafür werden die Rossen gynäkologisch betreut und der Eisprung auf den Tag genau festgestellt. Verabreichte Hormonstimulantien helfen dabei, die Rossen und Eisprünge aneinander anzugleichen. Idealerweise kommt die Empfängerstute ein bis zwei Tage nach der Spenderstute zum Eisprung, damit der Embryo mehr Zeit hat, sich in der Gebärmutterschleimhaut einzunisten.
Da die Zyklussynchronisation sehr aufwendig ist, stehen im Idealfall mehrere Empfängerstuten zu Auswahl.
Bezüglich des genutzten Spermas wird von Tierärzten Frischsperma bevorzugt. Die Befruchtung mit Tiefgefriersamen ist ebenso möglich, denn die Qualität des Samens ist entscheidend.
Welche Empfängerstute kommt für den Embryotransfer infrage?
- Besonders jung (3-12 Jahre)
- Hatte idealerweise bereits eine erfolgreiche Trächtigkeit hinter sich
- Gesund und zuchttauglich
- Gute Milchleistung und überdurchschnittlich gute Muttereigenschaften
- Ungefähr im Größenbereich der Spenderstute, da sich die Größe und Entwicklung des Fohlens an der Gebärmuttergröße der austragenden Stute ausrichtet.
Steht dem Züchter keine eigene Empfängerstute zur Verfügung, kann er auf eine Partnerstation der durchführenden Klinik zurückgreifen oder gezielt in einer Empfängerstutenherde schauen. Das Leasen von Stuten hat sich mittlerweile in der Pferdezucht mit Embryotransfer etabliert.
Wie läuft ein Embryotransfer bei einer Stute ab?
1. Zyklussynchronisation
Der Spender- und der Empfängerstute wird zur Synchronisation das Hormon Prostaglandin verabreicht. Es sind bereits geringe Mengen des Hormons nötig, um die Rosse auszulösen. Dadurch entstehen nur geringe Nebenwirkungen bei den Stuten. Der Eisprung wird schließlich mit dem Hormon HCG ausgelöst.
2. Spenderstute wird vom Hengst besamt
Wie in der normalen Zucht, wird die Stute zunächst mit dem passenden Hengst durch den Tierarzt besamt.
3. Gebärmutterspülung
7 bis 8 Tage nach der Besamung bzw. Ovulation befindet sich der Embryo als Blastozyste im Bläschenstadium und ist bereit, ausgespült zu werden. Ein Ballonkatheter wird dafür am Gebärmutterhals fixiert und anschließend werden 700 bis 1.000 ml lauwarme Spüllösung eingeleitet und wieder abgelassen. Um sicherzugehen, den Embryo tatsächlich herausgespült zu haben, wird der Vorgang drei bis viermal wiederholt. Die Lösung läuft durch einen feinen Filter, der den Embryo auffängt.
4. Der Embryo wird gereinigt
Die bereits vorgefilterte Spülflüssigkeit wird unter dem Lichtmikroskop auf den Embryo hin untersucht. Wird er gefunden, kann er gereinigt und übertragen werden.
5. Der Embryo wird übertragen
Die Übertragung in die Empfängerstute kann chirurgisch oder transzervikal stattfinden. Aufgrund des geringen Aufwandes wird in der Regel der nicht-chirurgische Weg gewählt. 8 Tage nach dem Transfer kann die Stute per Ultraschall auf Trächtigkeit überprüft werden.
Die Erfolgschancen, eine befruchtete Eizelle zu erhalten, liegen zwischen 50 und 80 %, sofern es sich beim eingesetzten Samen um Frischsperma handelt. Die Chancen auf eine Befruchtung sinken mit Tiefgefriersperma deutlich.
Anschließend liegt die Chance auf eine Trächtigkeit der Empfängerstute bei 25-64 %.
War der Transfer erfolgreich, können die Stuten von der Klinik sofort nach Hause fahren.
Für- und Gegenstimmen zum Embryotransfer bei Pferden
Obwohl sich der Embryotransfer in der Pferdezucht als effiziente Technik bewährt hat, liegt der Schwerpunkt im Ausland. Vor allem die USA, Australien, Argentinien und Brasilien setzen vermehrt auf ET-Fohlen, während sich deutsche Pferdezüchter zurückhalten. In Deutschland prallen zwei Meinungen zum Embryotransfer aufeinander: Zuchtfortschritt vs. Geldmacherei.
Pro Embryotransfer
Das größte Argument für Embryotransfer ist, die Spenderstute maximal eine Woche aus dem Sport bzw. Training nehmen zu müssen. Da sie lediglich die befruchtete Eizelle zur Verfügung stellt, hat sie auch nicht die gesundheitlichen und verletzungsbedingten Risiken einer Trächtigkeit zu tragen. Sie kann also zeitgleich Sport- und Zuchtstute sein. Ebenso ist es möglich, ihren Zuchtwert durch mehrere Fohlen pro Jahr zu steigern.
Auch junge Stuten am Anfang ihrer sportlichen Karriere können bereits Mutter dank Embryotransfer werden. Würden sie erst mit Beende ihrer Sportkarriere in die Zucht gehen, sind sie meist zu alt, um die körperlichen Belastungen einer Trächtigkeit aushalten zu können. Bei hoffnungsvollen Sportstuten drängt sich der Embryotransfer gewissermaßen auf.
Durch die potenzierte Vermehrung maternaler Genetik rückt die Mutterseite der Pferdezucht weiter in den Vordergrund. Die durch künstliche Besamung sonst sehr hengstlastige Pferdezucht gewinnt durch Embryotransfer ein Stück von ihrer Balance zurück.
Contra Embryotransfer
Sieht die eine Seite die Chance, die Mutterseite in den Fokus zu rücken, sehen die negativen Stimmen beim Embryotransfer die Gefahr der beliebigen Reproduzierbarkeit des maternalen Bluts. Allerdings kann auch die höhere Fohlenrate pro Stute der Überschwemmung väterlichen Genmaterials kaum etwas entgegenbringen.
Worin Embryotransfer herkömmlichen Zuchtmethoden nachsteht, ist der finanzielle und organisatorische Aufwand. Beides sollte sich im Hinblick auf das Zuchtergebnis lohnen und daher im Voraus gut abgeschätzt werden.
Und schließlich bleibt der Embryotransfer ein Eingriff in die Natur des Pferdes. Die Spenderstute ist nicht in der Lage, eine Trächtigkeit selbst zu durchleben. Es ist, trotz des Wegfallens der gesamten Trächtigkeit, eine hormonelle und damit auch körperliche Belastung für die Stute. Denn jede abgebrochene Trächtigkeit bedeutet auch ein abrupter hormoneller Umschwung. Aus diesem Grund empfehlen Tierärzte, eine Spenderstute alle vier bis fünf Jahre ein Fohlen selbst austragen zu lassen, damit sich die Gebärmutter erfrischen kann.
Die Achterbahnfahrt der Hormone ist also vor allem für die Spenderstute, die im Turniereinsatz bleibt, eine immense Doppelbelastung. Daher raten manche Experten, trotz ET der Spenderstute eine Turnierpause zu gönnen. Genauso wurde es bei Isabell Werths Stute Weihegold gemacht: Sie erhielt während des Zuchteinsatzes eine sportliche Pause.
Wie teuer ist ein Embryotransfer bei Pferden?
Neben der Besamung durch den Hengst (Decktaxe vom Hengst abhängig), den Kosten für die Tupferprobe, der Einstallung in der Klinik und dem eigentlichen Embryotransfer (ca. 500 €) kommen noch die Kosten für die Leihstute hinzu, die entweder gekauft oder geleast werden muss. Grob liegen die Kosten für ein ET-Fohlen bis zu 5.000 € höher als für ein normales Fohlen. Diese Kosten müssen mit dem Verkauf des Fohlens wieder eingespielt werden, wobei sich der Fohlenmarkt in Deutschland schwierig gestaltet. Auf dem deutschen Fohlenmarkt erhält man, wenn ein überdurchschnittliches Fohlen und ein finanzstarker Käufer zusammenkommen, nicht mehr als 10.000€.
Ein Blick in die Zukunft: Auswirkungen des Embryotransfers auf die Pferdezucht
Wer in seiner Pferdezucht nicht auf Embryotransfer setzt, der muss seine Stute erst in sportliche Rente schicken. Aus diesem Grund wird wenig mit Spitzenstuten gezüchtet, da diese zuerst Erträge im Sport bringen müssen. Stattdessen wird mit Stuten mit geringem Zuchtwert gezüchtet. Hier kann der Embryotransfer neue Chancen bringen, um mit allerbesten Blutlinien zu züchten. Die Chancen liegen neben der Zucht auch im Sport: Durch die Vereinigung der Vorteile des sowohl züchterischen als auch sportlichen Einsatzes junger Spitzenstuten, kommt eine höhere Qualität im Pferdesport und Wettbewerb zusammen.
Dennoch gibt es nie eine Garantie auf ein Lebendfohlen. Die Zucht ist und bleibt selbst mit Embryotransfer ein stetiges Hoffen. Auch ein ET-Fohlen aus einer Spitzenstute ist noch kein Garant dafür, dass es sich zu hohen Preisen verkaufen lässt oder später Titel und Goldmedaillen nach Hause bringt.
Mit Embryotransfer kann die wertvolle Genetik der Stuten potenziell genutzt werden und damit mehr Balance von mütterlichen und väterlichen Genen in der Pferdezucht bringen. Allerdings steht die Anzahl an ET-Fohlen aus einer Stute nicht im Verhältnis zu den Fohlen, die einem Hengst durch künstliche Besamung entstehen. Experten sehen daher den Embryotransfer in der Pferdezucht nicht als Revolution, sondern eher als Zusatzpotenzial für Sportstuten und alte Stuten.
Ein Schritt weiter: Was ist ein ISCI Pferd?
Vom Stand des Embryotransfers gehen die Entwicklungen aber noch weiter und umgehen die künstliche Besamung in der Stute. Bei der Intrazytoplasmatischen Spermieninjektion, kurz ICSI, erfolgt eine In vitro Befruchtung. Dafür werden der Spenderstute außerhalb der Rosse bis zu 10 Follikel direkt aus den Eierstöcken entnommen. Dieser Vorgang nennt sich Ovum-Pick Up, kurz OPU. Anschließend werden die Follikel gespült, um die Eizellen daraus zu erhalten. Diese reifen für 24 bis 32 Stunden im Brutschrank, bevor ihnen eine Samenzelle injiziert wird. Zurück im Brutschrank reift die befruchtete Eizelle zur Blastozyste, die schließlich in die Empfängerstute eingesetzt wird.
ICSI wird vor allem in Nordamerika praktiziert, in Europa sind es Länder wie Italien oder die Niederlande. In Deutschland sind es weniger als 1 % der Trächtigkeiten, die über ICSI ausgelöst werden, da es sich um ein sehr teures Unterfangen handelt. Zumindest in der Pferdezucht – in der Rinderzucht sieht es anders aus.
ICSI eignet sich vor allem bei Stuten mit geringer Fruchtbarkeit oder bei denen ein Embryotransfer nicht erfolgreich war. Besonders interessant ist die In-Vitro Befruchtung bei Hengsten, von denen nur noch wenig Samenzellen vorhanden sind. Das ist beispielsweise bei bereits verstorbenen Vererbern der Fall, mit deren Tiefgefriersperma sparsam umgegangen werden muss.
Autorin: Mirjam-Sophie Freigang