Para-Equestrian und Para-Dressur: Reitsport für Menschen mit Behinderung

Para-Equestrian und Para-Dressur: Reitsport für Menschen mit Behinderung

Der Pferdesport hat eine Vorreiterrolle beim Thema Inklusion inne. Denn bei der Para-Dressur steht nicht die Behinderung der Reiter im Vordergrund, sondern das Miteinander und die Harmonie mit dem Pferd.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Para-Equestrian?

Als Para-Equestrian bezeichnet man den Behindertenreitsport, also den Reitsport für Menschen mit Behinderung oder Menschen mit Handicap. In unseren Breiten hat sich der englische Begriff Para-Equestrian oder auch die Para-Dressur als die am häufigsten vertretene Reitsportdisziplin des Behindertenreitsports, etabliert.

Para-Equestrian ist nicht mit der Reittherapie gleichzusetzen, da es sich hier um Reitsportathleten handelt, die den Sport sowohl im Freizeitbereich als auch auf Wettkampfbasis ausüben. Mit der Para-Equestrian rückt die eigentliche Behinderung egal welchen Grades in den Hintergrund und das sportlich Machbare wird hervorgehoben. Der Reitsport verleiht Menschen mit Handicap auf ihrem Partner Pferd ein Gefühl von Freiheit, Selbstständigkeit und Unabhängigkeit. Außerdem dient das Pferd als Bindeglied zwischen Menschen mit unterschiedlichen Voraussetzung, sodass der Para-Reitsport auch sehr viel zur sozialen Integration und Inklusion beiträgt.

Die bekannte Para-Reiterin Gianna Regenbrecht mit Tomorrowland auf dem Maimarkt Turnier Mannheim

Disziplinen der Para-Equestrian

Wie auch im Regelreitsport gibt es bei der Para-Equestrian mehrere Disziplinen, die ein Para-Athlet ausüben kann:

  • Para-Dressur
  • Para-Springen
  • Para-Fahren
  • Para-Voltigieren
  • Para-Reining

Die Para-Dressur ist die am häufigsten ausgeübte Reitsportdisziplin unter den Para-Reitern. Sie ist auch die einzige Disziplin, die es 1996 in die Paralympics, die Olympischen Spiele für Menschen mit körperlicher Behinderung, und 2010 in die Weltreiterspiele geschafft hat. Die Para-Dressur hat ein eigenes Regelwerk, das sich aufgrund der Wettkampfklassen und erlaubten Hilfsmittel vom regulären Dressursport unterscheidet. Grundsätzlich gelten aber dieselben Anforderungen für die Ausführung der Lektionen wie bei Regelturnieren. Die Skala der Ausbildung mit ihren Unterpunkten sind auch in der Para-Dressur Trainings- und Bewertungsgrundlage.

Athleten mit geistiger oder mehrfacher Behinderung wiederum treten nicht in der Para-Equestrian gegeneinander an. Der Reitsport für Menschen mit geistiger Behinderung ist anders organisiert und enthält auch andere Disziplinen.

Der Sportgesundheitspass als Voraussetzung für die Turnierteilnahme

Wie auch beim Regelreitsport wird die Para-Equestrian unterteilt in Freizeit- und Breitsport und in den Leistungssport. Während beim Breitsport die Freizeitgestaltung mit dem Partner Pferd im Vordergrund steht, geht es beim Leistungssport um die Teilnahme an Turnieren. Hierbei ist je nach Behinderungsgrad auch die Teilnahme an Regelturnieren möglich, allerdings wird der Para-Athlet dann auf dieselbe Weise bewertet wie seine konkurrierenden Regelreiter.

Die Para-Reiter werden je nach Behinderungsgrad in Wettkampfklassen, sogenannte Grades von I bis V eingeteilt. Grundlage hierfür bildet ein Sportgesundheitspass, der die Einordnung in die jeweilige Wettkampfklasse erleichtert. Der Reiter muss sich seinem Hausarzt vorstellen, der zuerst die Sportfähigkeit feststellt. Ist diese vorhanden, geht es weiter zu einem Mannschaftsarzt oder Klassifizierer, der für das Internationalem Paralympischen Komitee für Reiterei (I.P.E.C.) agiert. Er klassifiziert die Reiter und weist ihnen eine Wettkampfklasse zu. Diese sollen den Behindertenreitsport fairer gestalten, damit gleiche Beeinträchtigungen zu gleichen Leistungen führen können.

Der nun ausgestellte Sportgesundheitspass ist auf zwei Jahre befristet, danach muss ein neuer Antrag gestellt und erneut untersucht werden, ob der Zustand des Para-Athleten unverändert ist.

Eine Einteilung/Klassifizierung ist grundsätzlich erst dann möglich, wenn sich die körperliche Einschränkung um mindestens 15 % gegenüber Regelreitern unterscheidet. Bewertet werden hierfür Muskelkraft, Gelenkbeweglichkeit und Koordination. 

Der Sportgesundheitspass erlaubt die Verwendung von kompensatorischen Hilfsmitteln in der Prüfung, die im Pass festgehalten sind. Diese Hilfsmittel sollen körperlich Fehlendes ersetzen, also kompensieren. Dabei dürfen nur die Hilfsmittel in der Prüfung verwendet werden, die auch im Pass eingetragen sind, alle anderen sind nicht erlaubt. Ein Para-Reiter kann auch an Regelturnieren ohne Sportgesundheitspass teilnehmen, allerdings ist ihm dann auch die Verwendung von kompensatorischen Hilfsmitteln untersagt.

Kompensatorische Hilfsmittel für Para-Reiter können unter anderem sein:

  • Stimme
  • Damensattel
  • Haltegriff am Sattel vorne
  • Spezialsattel mit Pauschen
  • Erhöhter Sattelkranz
  • Zügelführung am Steigbügel
  • Riemen am Steigbügel oder Steigbügelriemen zum Sattelgurt
  • Beinfixierungen
  • 2 Gerten
  • und andere

Grade I bis V: Wettkampfklassen in der Para-Dressur

Die Wettkampfklassen (Grade) teilen seit 2017 in ihrer heutigen Form Para-Athleten nach ihrer Beeinträchtigung in Klassen ein, um gleiche Voraussetzungen zu schaffen. Die Klassifizierungspunkte sind:

  • Normale Funktion oder geringe Beeinträchtigung
  • Unvollständige Lähmung der Muskulatur
  • Fehlende Gliedmaße
  • Koordinationsstörung
  • Schwere Koordinationsstörung
  • Deformation
  • Rollstuhlbenutzer

Grade I

In der Wettkampfklasse I treten Reiter mit schwerster Behinderung gegeneinander an. Sie sind hauptsächlich Rollstuhlbenutzer mit einer geringen Rumpfbalance und begrenzter Arm- und Beinfunktion. Geritten wird ausschließlich im Schritt.

Grade II

Auch in der Wettkampfklasse II sind oftmals Rollstuhlbenutzer vertreten, die eine starke Einschränkung der Beinfunktion aufweisen. Auch sie haben wenig Rumpfbalance. Allerdings kommen in dieser Klasse neben Schritt kleine Trabsequenzen hinzu.

Grade III

Neben Rollstuhlfahrern sind in der Wettkampfklasse III auch Para-Reiter mit guter bis leicht behinderter Armfunktion oder stark einseitig eingeschränkter Funktion vertreten. In Grade III Prüfungen sind neben Schritt-Trab-Aufgaben in der Kür auch Galopp und einzelne fliegende Wechsel möglich.

Grade IV

Grade IV Prüfungen werden in der Para-Dressur als das „Sammelbecken“ für verschiedene Einschränkungen angesehen. In der Para-Dressur sind Grade IV Prüfungen am häufigsten vertreten. Viele Athleten können in dieser Klasse meist auch ohne Unterstützung gehen, haben eine mäßige Behinderung oder auch eine Sehbehinderung von B1 (blind, eine schwarze Brille ist obligatorisch).

In der Wettkampfklasse IV wird bis L-Niveau geritten und die Grundgangarten Schritt, Trab und Galopp werden verlangt.

Grade V

Athleten mit einer Behinderung in ein oder zwei Gliedmaßen oder eingeschränkter Sehfähigkeit treten in der Wettkampfklasse V gegeneinander an. Geritten wird hier von L- bis M-Niveau, in der Kür sind alle Lektionen bis auf Passage und Piaffe gefordert.

Unabhängig von der Behinderung wollen die Richter auch in der Para-Dressur sehen, dass die Pferde nicht mit Krafteinwirkung, sondern mit Einfühlsamkeit und Know-How geritten werden. Zwar wird jeder Reiter hierbei seinen Einschränkungen gemäß bewertet, dennoch soll er mit seinen Voraussetzungen entsprechend dem Pferd die Hilfen fein vermitteln können.

Anforderungen an ein Pferd für die Para-Dressur

In Bezug auf die Para-Equestrian stellt sich die Frage, ob die eingesetzten Pferde besondere Voraussetzungen oder einer spezifischen Ausbildung bedürfen. Dem ist nicht unbedingt so, denn Pferde können sich sehr schnell auf die andere Art der Hilfengebung einstellen. Sie haben im Gegensatz zu uns Menschen keine Berührungsängste, sondern reagieren einfühlsam auf den Reiter und zeigen sich ihm gegenüber stets leistungsbereit. 

Die Kombination von Pferd und Reiter muss stimmig sein – das unterscheidet sich nicht vom Regelsport. Lediglich das Heranführen des Pferdes an kompensatorische Hilfsmittel und die eigene Form der Hilfengebung ist nötig. Das macht die Para-Dressur zu einem absoluten Teamsport, die nur mit Unterstützung in Training und Alltag erfolgreich funktionieren kann.

Schlussendlich muss ein Pferd, das im Behindertenreitsport läuft, ebenso anhand der Skala der Ausbildung ausgebildet werden. Die Rittigkeit und Einwirkung des Reiters wird demnach in den Prüfungen bewertet wie im Regelreitsport auch.

Geschichte und Organisation der Para-Dressur

Bereits seit 1996 ist die Para-Dressur Teil der Paralympischen Sommerspiele. Bis zu den Paralympics in Sydney im Jahre 2000 wurden die Pferde den Para-Athleten zugelost. Das änderte sich ab 2002 auf der Europameisterschaft in Portugal, als die Reiter erstmals auf ihren eigenen Pferden in die Prüfungen starteten.

Als Vorreiter für inklusiven Sport hat die Reitsportszene die Para-Dressur seit den Weltreiterspielen in Kentucky 2010 mit im Programm.

Dass die Welt der Para-Dressur weiterhin Zuwachs erhält, zeigen uns die Teilnehmerzahlen im Laufe der Jahre. Nahmen an den Paralympics in Atlanta 1996 noch 60 Reiter aus 16 Nationen teil, waren es bei den Paralympics in Tokio 2020 schon 77 Reiter aus insgesamt 27 Nationen.

Seit dem Jahr 2006 steht die Organisation des internationalen Para-Reitsports unter den Fittichen des Weltreiterverbands FEI, die die Para-Dressur und das Para-Fahren als 8. Reitsportdisziplin aufgenommen hat und diese fortan unterstützt.

In Deutschland wird der leistungssportliche Para-Reitsport durch den DKThR (Deutsches Kuratorium für Therapeutisches Reiten e. V.) mit Sitz in Warendorf organisiert. Dieser ist ein Anschlussverband der FN und arbeitet zudem eng mit dem Deutschen Behindertensportverband (DBS) zusammen. Seit 2013 hat die Para-Equestrian einen eignen Beirat im DOKR (Deutsches Olympiade Komitee für Reiterei) und wird als 8. Disziplin nun auch durch diesen vertreten.

National und international erfolgreiche Para-Dressurreiter

Leider fällt das Rampenlicht für die Para-Dressurreiter oftmals klein aus; die großen Scheinwerfer bleiben nach wie vor auf die Dressurprüfungen der Regelreiter gerichtet. Damit entgehen vielen Zuschauern und Dressursportinteressenten die herausragenden Leistungen der Para-Athleten. Zumal ihre Leistungen aufgrund ihrer körperlichen Einschränkungen bewundernswert sind.

Aktuell (Stand 2024) wird die Weltrangliste der FEI mit folgenden Para-Dressurreitern angeführt:

  • Grade I angeführt von Mari Durward-Akhurst (GBR): Die mit Cerebralparese geborene Reiterin war Grade I Silver und Grade I Gold National Champion für zwei Jahre, bevor sie 2019 mit ihrem Team bei den Europameisterschaften Silber holte.
  • Grade II angeführt von Josef „Pepo“ Puch (AUT): Bis 2008 war Puch im Vielseitigkeitsreiten unterwegs, musste diesen Sport aber aufgrund eines folgenschweren Sturzes hinter sich lassen. Fortan inkomplett querschnittsgelähmt kämpfte er sich zurück auf das Pferd und ist seitdem mit seinem selbstausgebildeten Wallach The Who in der Para-Dressur erfolgreich.
  • Grade IV angeführt von Kate Shoemaker (USA): Ihr Debüt in der Para-Dressur hatte Shoemaker 2018 bei den Weltreiterspielen und gewann Bronze in der Kür. 2021 bei den Paralympischen Sommerspielen in Tokio ging sie mit Silber in der Einzel-Kür nach Hause. In der Teamwertung holte sie gemeinsam mit Rebecca Hart und Roxanne Trunnell die Bronze-Medaille.
  • Grade V angeführt von Sophie Wells (GBR), dicht gefolgt von Regine Mispelkamp (DE)

Zu den erfolgreichsten deutschen Para-Dressurreitern zählen:

Regine Mispelkamp war erfolgreich sowohl in der Dressur als auch im Springen bis zur Klasse S. Trotz Multiple Sklerose blieb sie zwar dem Reitsport treu, wechselte aber 2018 zur Para-Dressur in Grade V. Damals gewann sie auf Anhieb drei Siege und zwei Zweitplatzierungen, wurde im selben Jahr Deutscher Meister und nahm bei der Weltmeisterschaft Bronze in Einzel und im Team mit nach Hause. 2021 nahm Regine Mispelkamp das erste Mal bei den Paralympics teil und gewann als einzige Deutsche eine Medaille (Bronze). Bei der Europameisterschaft in Riesenbeck 2023 gewann Mispelkamp im Einzel Bronze und mit dem Team Silber.

Die Narkoseärztin Dr. Angelika Trabert startet in Grade III und kann auf eine langjährige Reitkarriere in der Para-Dressur zurückschauen. Bereits 1999 gewann die Para-Reiterin, die ohne Beine geboren wurde, ihre ersten Medaillen. Durch ihre Teilnahme bei 5 Paralympics, 5 Weltmeisterschaften und 5 Europameisterschaften konnte Dr. Angelika Trabert 20 Edelmetalle mit nach Hause nehmen, darunter 2x Gold, 15x Silber und 3x Bronze. 2015 war sie Europameisterin der Einzelreiter, deutsche Vizemeisterin 2017 und 2018. Doch nicht nur in der Para-Dressur ist Trabert erfolgreich, auch im Regelsport geht sie bis zur Klasse M erfolgreich an den Start.

Als aufstrebender Star der Para-Dressur gilt Gianna Regenbrecht. Die Medizinstudentin erlitt 2014 einen folgenschweren Reitunfall, der sie fortan an den Rollstuhl fesselte. Doch bereits ein Jahr danach trat sie mit ihrem Norweger bei der Deutschen Meisterschaft in der Para-Dressur an. Ihre ersten Erfahrungen im internationalen Turniersport sammelte Gianna 2019. In den Jahren 2019 und 2022 holte sich die Para-Reiterin den deutschen Vizetitel in Grade II. Durch einen Ausfall einer Teamkollegin rückte Gianna Regenbrecht für die Weltmeisterschaft 2022 nach und konnte dort auf Anhieb Platz 6 belegen.

Ihre inspirierende Geschichte kannst du im Artikel über Gianna Regenbrecht nachlesen: Gianna Regenbrecht – Mit Mut und Kampfgeist zurück in den Sattel

In anderen Ländern wie beispielsweise Großbritannien sind viele Para-Reiter Profireiter, die den Turniersport zum Beruf gemacht haben. In Deutschland gehen allerdings hauptsächlich Amateure in der Para-Dressur an den Start. Zum deutschen Kader der Para-Dressur gehören in 2024:

  • Paralympicskader: Heidemarie Dresing (Grade II) und Regine Mispelkamp (Grade V)
  • Perspektivkader: Martina Benzinger (Grade I), Anna-Lena Niehues (Grade IV), Isabell Nowak (Grade V), Gianna Regenbrecht (Grade II)
  • Nachwuchskader: Saskia Deutz (Grade IV), Noah Kuhlmann (Grade IV), Julia Porzelt (Grade II), Angelika Trabert (Grade III), Melanie Wienand (Grade III)

Seit 2023 ist Silke Fütterer-Sommer Bundestrainerin der Para-Dressurreiter und löste damit Bernhard Fliegel ab. Co-Trainer der Para-Dressur ist Rolf Grebe.

Mit Spannung schauen wir auf die Paralympics in Paris 2024, wo ein erfolgreiches Potpourri der weltbesten Para-Dressurreiter aufeinandertreffen wird.

Weitere Para Equestrian und Para Dressur Videos findest du auf ClipMyHorse.TV. Zum Beispiel findest du dort die Übertragung der FEI Dressage & Para Dressage European Championships.

Autor*in
Mirjam-Sophie FreigangKlinikenMehr VON CMH.TV

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