
Durchtrittigkeit beim Pferd – Ursachen, Symptome, Behandlung & Training
Durchtrittigkeit beim Pferd, oft auch als weiche Fesseln bezeichnet, kann sowohl angeboren als auch erworben sein. Sie führt zu einer übermäßigen Absenkung des Fesselgelenks und schwächt den gesamten Bewegungsapparat. Mit der richtigen Diagnose, angepasster Hufbearbeitung, gezieltem Muskelaufbau und bedachtem Training lässt sich der Zustand meist deutlich verbessern.
Inhaltsverzeichnis
Was bedeutet Durchtrittigkeit beim Pferd?
Durchtrittigkeit beschreibt eine übermäßige Absenkung des Fesselgelenks, bei der die Fesselachse nicht mehr stabil ist. Das Pferd „tritt durch“ – die Fesselgelenke sinken beim Stehen oder in der Bewegung stärker ab, als es anatomisch vorgesehen ist. Die Fessel wirkt weich, elastisch und manchmal sogar instabil.
Physiologisch ist das Fesselgelenk so gebaut, dass es Erschütterungen beim Auffußen abfedert. Wird diese Federwirkung zu stark, spricht man von einer Überstreckung. Betroffen sind in erster Linie der Fesselträger, die tiefen und oberflächlichen Beugesehnen sowie die Hufgelenke.
Je nach Schweregrad kann Durchtrittigkeit ein rein optisches Problem oder ein schmerzhaftes, leistungsbegrenzendes Symptom sein.
Ursachen: Warum Pferde durchtrittig werden
Die Entstehung von Durchtrittigkeit ist multifaktoriell – das heißt, meist wirken mehrere Ursachen zusammen. Man unterscheidet zwischen angeborenen und erworbenen Formen.
Angeborene Durchtrittigkeit
Bei manchen Pferden liegt die Ursache bereits in der anatomischen Veranlagung:
- Weiches Bindegewebe oder zu elastische Bänder
- Schwache Muskulatur im Fessel- und Krongelenksbereich
- Lange Fesseln und flache Fesselwinkel
Genetische Prädisposition bestimmter Rassen (z. B. Warmblüter mit raumgreifendem Gang oder Islandpferde mit weichem Bindegewebe)In der Aufzuchtphase kann ein Mangel an Mineralstoffen oder Proteinen die Bindegewebsstabilität zusätzlich beeinträchtigen.
Erworbene Durchtrittigkeit
Erworbene Durchtrittigkeit entwickelt sich schleichend. Häufige Ursachen sind:
- Überlastung des Bewegungsapparates durch zu intensives Training
- Falsche Hufbearbeitung oder unpassender Beschlag (z. B. zu lange Zehen, flache Winkel)
- Sehnenverletzungen oder Fesselträgerentzündungen
- Zu weiche oder unebene Böden in Haltung und Training
- Übergewicht oder mangelnde Bemuskelung
- Stoffwechselstörungen oder Fütterungsfehler, die die Gewebefestigkeit mindern
Im Verlauf überdehnt sich das Bindegewebe der Sehnen und Bänder, wodurch die Haltefunktion des Fesselgelenks verloren geht, die Durchtrittigkeit wird sichtbar.
Symptome: Woran erkenne ich Durchtrittigkeit?
Pferde mit Durchtrittigkeit zeigen charakteristische Merkmale:
- Übermäßig abgesenktes Fesselgelenk, besonders sichtbar im Stand
- Weiche Fesselung, bei der die Fesselachse „durchhängt“
- Überstreckung des Fesselgelenks in der Bewegung
- Schwankender Gang oder verminderte Tragkraft
- Schwellungen oder Wärme im Bereich der Sehnen
- Mitunter Lahmheit, vor allem nach Belastung
In frühen Stadien ist die Veränderung oft nur leicht erkennbar, erst bei Ermüdung oder nach längerer Belastung tritt sie stärker hervor.
Diagnose: So stellt der Tierarzt die Durchtrittigkeit fest
Eine gründliche tierärztliche Untersuchung ist unerlässlich, um den Schweregrad und die Ursache festzustellen. Typischerweise umfasst die Diagnostik:
- Beurteilung der Gliedmaßenstellung im Stand und in der Bewegung
- Palpation (Abtasten) von Fesselträger und Beugesehnen
- Ultraschalluntersuchung, um Sehnenfasern und Bandstrukturen zu beurteilen
- Röntgenbilder zur Beurteilung von Gelenken, Hufbein und Hufrolle
- Bewegungsanalyse (z. B. mit Sensoren oder Zeitlupenvideos)
Eine präzise Diagnose ist wichtig, um zwischen einer funktionellen (durch Muskel- oder Haltungsschwäche bedingten) und einer strukturellen (durch Verletzung oder Bindegewebsdefekt bedingten) Durchtrittigkeit zu unterscheiden.
Behandlung: Was hilft wirklich?
Die Therapie hängt stark von der Ursache ab. Grundsätzlich gilt: Je früher erkannt, desto besser die Prognose.
1. Akute Behandlung
Liegt eine akute Entzündung oder Verletzung der Sehnen oder Bänder vor, ist Schonung unverzichtbar.
Therapeutische Maßnahmen sind:
- Kühlung in den ersten Tagen, z. B. mit Eisbandagen
- Entzündungshemmende Medikamente nach tierärztlicher Anweisung
- Stützverbände oder Therapiegamaschen, um das Fesselgelenk zu stabilisieren
- Kontrollierte Bewegung an der Hand, sobald die akute Phase abgeklungen ist
Ergänzend können Laser-, Magnetfeld- oder Stoßwellentherapie die Heilung fördern.
2. Langfristige Stabilisierung
Wenn die akute Entzündung abgeklungen ist, steht die Stärkung der tragenden Strukturen im Vordergrund:
- Regelmäßige, korrekte Hufbearbeitung (alle 6–8 Wochen)
- Kürzere Zehen, um den Hebel zu reduzieren
- Angepasster Beschlag oder Hufschutz, ggf. orthopädisch zur Unterstützung der Fesselachse
- Gezielter Muskelaufbau (siehe Trainingsabschnitt unten)
- Physiotherapie oder Osteopathie, um Bewegungseinschränkungen zu lösen
Je nach Befund kann auch eine Bandagen- oder Gamaschenunterstützung im Training sinnvoll sein, sollte aber nur temporär genutzt werden, um die Eigenstabilität nicht zu beeinträchtigen.
Training bei Durchtrittigkeit
Das Training ist der wichtigste Baustein, um ein durchtrittiges Pferd langfristig zu stabilisieren. Ziel ist, die tragende Muskulatur insbesondere Rücken-, Bauch- und Hinterhandmuskulatur zu kräftigen.
1. Grundlagen des gesunden Trainings
- Kurze, regelmäßige Einheiten: lieber 20 Minuten täglich als 1 Stunde sporadisch
- Guter Untergrund: fester, elastischer Boden (kein tiefer Sand oder Matsch)
- Aufwärmphase: mindestens 10 Minuten Schritt an der Hand oder unter dem Sattel
- Vermeidung von Überforderung: keine engen Wendungen, kein Springtraining, kein tiefer Boden
2. Übungen an der Hand
Viele durchtrittige Pferde profitieren von Bodenarbeit, weil sie die Hinterhand aktiviert, ohne die Fesselgelenke zu stark zu belasten.
Bewährte Übungen:
- Schritt über Bodenstangen: kräftigt Rumpf- und Bauchmuskulatur
- Rückwärtsrichten: aktiviert die Beugemuskeln und Hinterhand
- Halten und Antreten: fördert Tragkraft und Balance
- Seitengänge an der Hand (z. B. Schulterherein): verbessert Koordination
Diese Übungen können auch auf leicht ansteigendem Gelände durchgeführt werden, um die Hinterhand gezielt zu stärken.
3. Longenarbeit
An der Longe sollte auf große Zirkel (mindestens 18 m) geachtet werden, um die Belastung gering zu halten.
Wichtige Punkte:
- Kappzaum statt Ausbinder, um natürliche Kopf-Hals-Haltung zu fördern
- Übergänge Schritt–Trab–Schritt, um Tragkraft zu schulen
- Stangenarbeit in unterschiedlichen Abständen
Besonders effektiv ist Equikinetic®-Training: Durch Intervallarbeit auf Zirkel werden Muskulatur, Koordination und Rumpfstabilität gestärkt, ohne Überlastung der Fesseln.
👉 Weiterführende Informationen findest du im Artikel : Equikinetic - Aufbau, Übungen und der richtige Trainigsplan
4. Reitarbeit
Unter dem Sattel sollte das Pferd über den Rücken arbeiten, nicht auf der Vorhand.
Effektive Übungen:
- Übergänge (Schritt–Trab, Trab–Galopp) zur Aktivierung der Hinterhand
- Seitengänge wie Schulterherein, Travers oder Renvers
- Tempowechsel im Trab für Balance und Kraft
- Galopparbeit bergauf, sofern der Zustand stabil ist
💡Mehr dazu findest du im Artikel: So gelingt das Gymnastizieren deines Pferdes!
5. Ergänzende Maßnahmen
Zusätzlich können folgende Elemente unterstützend wirken:
- Faszienarbeit zur Lockerung und Durchblutung
- Balance Pads oder instabile Untergründe im Stehen (unter Anleitung)
- Massage und Dehnübungen nach dem Training
- Regenerationstage ohne Training, aber mit freier Bewegung
Fütterung & Haltung: Den Körper von innen stärken
Ein starkes Bindegewebe entsteht auch durch optimale Fütterung.
Wichtige Nährstoffe:
- Aminosäuren (Lysin, Methionin) für Muskelaufbau
- Kieselsäure, Zink, Mangan, Kupfer für Sehnen und Bänder
- Vitamin E und Selen als Zellschutz
- Omega-3-Fettsäuren zur Entzündungshemmung
Vermeiden solltest du:
- Übergewicht (belastet die Fesseln zusätzlich)
- zu energiereiche Rationen bei wenig Bewegung
Haltungsbedingungen:
Ein Paddocktrail oder Offenstall mit festem, griffigem Boden unterstützt den Bewegungsapparat. Weiche, matschige Böden fördern hingegen Instabilität und Überdehnung.
Prognose & Prävention
Die Prognose hängt von der Ursache und Konsequenz der Behandlung ab:
- Leichte, trainingsbedingte Durchtrittigkeit kann sich vollständig zurückbilden.
- Chronische oder genetisch bedingte Formen lassen sich stabilisieren, aber nicht heilen.
Wer sein Pferd frühzeitig beobachtet und kleinste Veränderungen ernst nimmt, kann meist verhindern, dass sich die Durchtrittigkeit verschlimmert.
Fazit
Durchtrittigkeit beim Pferd ist mehr als eine optische Auffälligkeit, sie signalisiert eine strukturelle Schwäche im Bewegungsapparat, die ernst genommen werden muss.
Mit einer Kombination aus gezieltem Muskelaufbau, angepasster Hufbearbeitung, bewusster Fütterung und tierärztlicher Begleitung kann die Stabilität des Fesselgelenks deutlich verbessert werden.
Regelmäßige Bewegung, achtsames Training und Geduld sind dabei die wichtigsten Heilmittel.
Durchtrittigkeit beim Pferd: Die wichtigsten Fragen und Antworten
Was bedeutet Durchtrittigkeit beim Pferd?
Durchtrittigkeit beschreibt eine übermäßige Absenkung des Fesselgelenks, meist aufgrund schwacher Sehnen oder Bänder.
Kann Durchtrittigkeit wieder verschwinden?
Bei funktioneller oder trainingsbedingter Ursache ja. Bei genetischer Veranlagung ist eine Stabilisierung möglich, aber keine vollständige Heilung.
Ist Durchtrittigkeit schmerzhaft?
Wenn Sehnen oder Gelenke überlastet sind, ja. Unbehandelt kann sie zu chronischen Schmerzen und Lahmheiten führen.
Wie trainiere ich ein durchtrittiges Pferd richtig?
Mit kontrolliertem Muskelaufbau, Stangenarbeit, Bodenarbeit, Equikinetic und viel Schritt – ohne tiefe Böden oder schnelle Wendungen.
Welche Rolle spielt die Hufbearbeitung?
Eine korrekte Hufstellung ist entscheidend, um die Fesselachse zu entlasten. Orthopädische Beschläge können unterstützend wirken.
